Regionen mit Problemen sind interessant. Auf der Suche nach der Empirie des Kohleausstiegs strömen Sozialforscher in die Lausitz. Dort treffen sie: andere Sozialforscher.
Die Sozialforschung hat die Lausitz entdeckt. Aus allen Richtungen strömen neuerdings Wissenschaftler in den tiefen Osten, um Leute und Land zu untersuchen. Sie kommen von Universitäten Siegen oder Graz, von Instituten in Potsdam oder von der Hochschule Zittau-Görlitz. Sie arbeiten an groß angelegten europäischen Vergleichsstudien. Sie suchen nach den Menschen, die den Kohleausstieg direkt erleben. Eine regelrechte Invasion ist da im Gange. „Der Lausitzer der momentan am besten erforschte Bewohner einer deutschen Region“, sagt eine junge Soziologin. Warum nur?
Wer sozial erforscht wird, hat meist Probleme. So auch die Lausitz. Eine ehemalige Industrieregion, die ihre letzte halbwegs funktionierende Industrie verlieren soll. Eine Braunkohle-Region, die in die kohlenstoffarme Zukunft katapultiert wird. Mehr als eine Million Menschen, die ihre Vorstellungen von sich und ihrer Heimat über den Haufen werfen müssen. Da bietet sich reichlich Material, um die Wirkung von Ereignis auf Gesellschaft zu untersuchen. Wer wissen will, was Wandel mit den Menschen macht, der schaut jetzt auf größte der vier deutschen Braunkohle-Regionen, die bis 2038 einen neuen Job brauchen.
Man vergleicht die Lausitz mit Rumänien, Polen und dem Ruhrgebiet. Man stellt fest: Sie ist typisch
Die Lausitz ist, sozialwissenschaftlich betrachtet, beispielhaft für eine post-industrielle Region im Sturm der globalen Wirtschaft. Fabriken sind zu, die Bevölkerung schrumpft. Junge Leute ziehen weg – und die, die bleiben, wählen oft rechts. Diese Grundeinschätzung findet sich, so oder so ähnlich, in jeder Studie wieder. Aber das ist nur die Ausgangslage. Es soll ja besser werden, diesem Zwecke dient die Forschung. Lesen wir nach: „Es gilt, innerhalb verschiedener Interessengruppen belastbare und robuste sowie nachhaltige Strategien zu entwickeln, um die Region im Rahmen eines fairen und gerechten Übergangs zur kohlenstoffarmen Zukunft zu unterstützen.“ So heißt es in einem Papier, das Kohleregionen in Polen und Rumänien mit der Lausitz vergleicht. Übersetzt aus dem Oberseminar-Deutsch heißt das so viel wie: Die Kohle muss raus aus den Köpfen.
Wie das nun gelingen kann, das ist die spannende Frage. Um schlauer zu werden, treten sich zurzeit die Soziologen in der Lausitz auf die Füße. Die kohlefreie Zukunft soll hier auch durch den Aufbau eines vorzeigbaren Wissenschafts-Sektors Wirklichkeit werden. Gemeint sind damit nicht nur Energie-Ingenieure und Batterie-Chemiker. Auch die Soziologie als Begleitstrang hat ihren Anteil am politischen Prozess. Das ist sinnvoll. Bevor die Politik etwas macht, sollte sie wissen, mit wem sie es zu tun hat. Drum schickt sie Sozialforscher los.
Bevor die Politik etwas macht, sollte sie wissen, mit wem sie es zu tun hat. Deshalb schickt sie Soziologen los
Aber das ewige Erforschtwerden wird den Einheimischen langsam langweilig. „Die Akteure sind müde von den immergleichen Gesprächen, Interviews und Arbeitsgruppen“, ist in einem Arbeitspapier zu lesen. Die Autorinnen waren mit ihrem Fragenkatalog durch die Lausitz gestreift auf der Suche nach Gesprächspartnern. Sie fanden kaum noch unbefragte Lausitzer an. Dafür andere Soziologen.
Der groß angelegte Lausitz-Monitor stellt fest, dass „die tatsächliche Beteiligung der Bevölkerung deutlich geringer ist, als sich die Macher von Beteiligungsprozessen erhoffen“. Im Kern heißt das, einige wenige engagieren sich überdurchschnittlich. Die meisten anderen gar nicht. Das Team vom Potsdamer Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung fanden bei einer Rundreise zu den Schauplätzen des Kohleausstiegs zwischen Cottbus und Zittau heraus, dass dort eine Skepsis herrscht „gegenüber jenen, die als Veränderungsexperten auftreten“. Auch diese Skepsis ist immerhin typisch für Transformationsregionen. Doch die Invasion der Soziologen ist etwas Besonderes. Schon fast ein demografisches Phänomen.