Die Lausitz will schön werden

Nicht jedes Millionenprojekt, das der Strukturwandel bringt, ist auch erwünscht. Die Ansprüche haben sich gewandelt tief im Osten. Die Lausitz will nicht mehr das Industriegebiet der Nation sein.

Die Oberlausitz hat einen Truppenübungsplatz, genannt TÜP. Der ist zehn Kilometer lang, 40 Kilometer breit und zu zwei Dritteln bewaldet. Der Rest sind Dünen, Heide und menschenleeres Gelände. Gefechtschießen, Gewässerübergang und Fallschirmsprung können hier geübt werden. Es gibt Schießmöglichkeiten für Panzerabwehr-Raketen, Mörser und einiges mehr. Auf diesem Stück modellhafter Geopolitik schossen schon die Sowjets, dann die Kasernierte Volkspolizei und die Luftwaffe der DDR. Dieser Übungsplatz hat also Tradition. Ein positiver Standortfaktor ist er deshalb noch lange nicht.

Im Gegenteil, wo scharf geschossen werden darf, ist man weit ab vom attraktiven Siedlungsraum. Das wussten die Orte der Oberlausitz schon immer. Aber genau das wollen sie nicht mehr sein. Weißwasser und Bad Muskau träumen von einer Zukunft als Mittelpunkte eines neuen regionalen Wachstums. Ein soldatisches Übungsfeld ist da nicht die geeignete Nachbarschaft. Der TÜP passt nicht mehr in die Work-Life-Balance von Weißwasser. Dass nun der Bund den Truppenübungsplatz ausbauen will, löst deshalb wenig Freude aus. Eine Investition von 287 Millionen Euro Bundesgeld sind ja gut und schön, heißt es vor Ort. Aber so eine Investition?

Eine Kaserne kann Jobs und Kaufkraft stärken, ebensogut wie eine Behörde oder ein Institut. Aber Weißwassers Ansprüche sind gewachsen

Willkommen im praktischen Strukturwandel. Weil die Lausitz durch den Kohleausstieg ihre Kernindustrie, die Braunkohle verliert, sollen neue Ansiedlungen die Region beglücken. Doch nicht jede Millioneninvestition ist auch willkommen. Gegen manche tobt der Widerstand. Der Bundeswehr-Standort etwa steht im Dauerfeuer. „1000 Soldaten in eine Region mit Männerüberschuss zu schicken ist keine gute Idee“, tönt die Oberlausitzer Linke. Dabei ist die Bundeswehr ein Arm der staatlichen Ansiedlungspolitik, den strukturschwache Regionen durchaus zu schätzen wissen. Eine Kaserne kann Jobs und Kaufkraft stärken, ebenso gut oder schlecht wie eine Behörde oder ein Forschungsinstitut. Aber Weißwassers Selbstbewusstsein ist gewachsen. Die Stadt mit früher 38 000 und jetzt noch 16 000 Einwohnern will gute Ansiedlungen, nicht mehr irgendwelche.

Ein weiteres millionenschweres Ärgernis ist der Bahn-Testring Tetis, der bei Niesky entstehen soll. So stolz war das sächsische Wirtschaftsministerium vor einem Jahr, dieses prestigeträchtige Projekt verkünden zu können. Doch die Anwohner sind wenig erfreut von die Aussicht auf ICE-Züge, die hinterm Garten durch den Wald preschen. Nun spaltet Tetis die Dorfgemeinschaften im Umkreis. In der Gemeinde Hähnichen musste ein neuer Bürgermeister gewählt werden, alle drei Kandidaten waren gegen den Testring.

In Jänschwalde herrscht derweil Aufregung um eine Müllverbrennungsanlage, die der Bergbau-Betreiber Leag zusammen mit dem Entsorger Veolia bauen will. Als Stärkung des Kraftwerksstandorts sehen die Anlieger dieses Großprojekt nicht. Eher als ein Hindernis für eine Zukunft als Naherholungsgebiet am Tagebausee. „Wir wären eingekeilt zwischen Kraftwerk, Müllverbrennungsanlage und Deponie“, sagt ein Bürgermeister. „Da werden keine Touristen kommen.“

Früher kamen die Leute wegen der Arbeit, später wegen der Wohnungen. Was heute Zuzügler anzieht, ist noch nicht ganz klar

Dass Dörfer an der Tagebaukante plötzlich von Tourismus träumen, hat auch mit Ratlosigkeit zu tun. Tourismus ist das einzige Geschäft, das die Lausitzer ihrer sonst nur an die Kohle gefesselten Wirtschaft zutrauen. Aber es zeigt auch, was der Kohleausstieg möglich macht. Orte weit ab vom Schuss denken sich völlig neu. Die Ansprüche haben sich gewandelt seit den 1990er Jahren, als es nur darum ging, Städte und Arbeitsstätten notdürftig zu stabilisieren. Der Wohlstand der Regionen wird heute nicht mehr gemessen an rauchenden Schornsteinen, Arbeitsplätzen und schlaglochfreien Straßen. Früher kamen die Menschen wegen der Arbeit. Später kamen sie, weil es Wohnungen gab, auf die man anderswo lange warten musste.

Was heute Leute in eine Region lockt, ist noch nicht ganz klar. Aber sicher hat es mit Lebensqualität zu tun. Kein Mensch zieht in eine Stadt, wo es nur Fabrik und Wohnraum gibt. Das haben die Lausitzer begriffen. Die Lausitz will nicht mehr nur das Industriegebiet der Nation sein, wo gefördert wird um jeden Preis und ohne Rücksicht auf Verluste. Die Lausitz will schön werden.

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