Leuchtturmpolitik hat einen Ruf, der so mittel ist. Der Strukturwandel schafft nun neue Leuchttürme. Aber wie weit strahlen Tesla, Bahnwerk und Großforschungszentrum wirklich?
Kurt Biedenkopf steht für Aufbau. Der in der vergangenen Woche verstorbene erste Ministerpräsident Sachsens nach der Wiedervereinigung hat ein Konzept von Strukturpolitik geprägt, das heute noch viele Freunde und Gegner hat. Leuchtturmpolitik ist ein Reizwort, wo immer es um Strukturfragen geht. Wie klug war das wirklich, in starke Zentren hineinzubuttern in der Hoffnung, dass auch für die Peripherie etwas abfällt? Diese Frage ist noch nicht abschließend geklärt. Und sie stellt sich mit dem Strukturwandel – 30 Jahre später – aufs Neue.
Biedenkopfs Ansatz, ein Land mit darniederliegender Wirtschaft wieder auf die Beine zu stellen, setzte auf zwei Faktoren: auf strahlkräftige Metropolen und auf gute Straßen. Das half auf lange Sicht, um Dresden zum Mittelpunkt von Glanz und Gloria zu machen – und Leipzig zum Mittelpunkt von Coolness. Aber in den kleinen Städten, die ihre einzigen Fabriken ersatzlos verloren hatten, kam dieser Ansatz recht zynisch rüber. Zumal die guten Straßen sich bald als Schnellfluchtwege vom Land in die Metropolen entpuppten. Leipzig wuchs, weil Lobau und Limbach-Oberfrohna schrumpften. Sofern die kleinen Städte nicht selbst zu kleinen Zentren werden konnten – was im Fall von Freiberg, Bautzen oder Plauen gelang – fühlten sie sich sträflich unbeleuchtet.
Leuchtturmpolitik ist tückisch. Leipzig wuchs, weil Löbau und Limbach-Oberfrohna schrumpften.
Der Strukturwandel verspricht nun neue Leuchttürme. Grünheide in Brandenburg, wo Tesla eine Gigafabrik baut, ist schon jetzt auch einer, obwohl die 12 000 Jobs noch gar nicht geschaffen sind. Auch die Milliardeninvestition der Bahn in Cottbus wird ein Leuchtturm. Wenn das alte Instandhaltungswerk in ein paar Jahren ICE-Loks umrüstet, dann hat die Stadt Cottbus ihre verlorene Ehre als Industriestadt zumindest teilweise zurück. Auch die Pläne für ein Großforschungszentrum in der sächsischen Lausitz tragen Leuchtturmcharakter, auch wenn es hier um staatlich eingerichtete Wissenschaft geht.
Aber die Nachteile solcher Prestigeprojekte machen sich schon bemerkbar. Was, wenn Tesla in Grünheide nicht etwa neue Arbeitskräfte in Region lockt, sondern die wenigen aus dem weiten Umkreis absaugt? Auch das Bahnwerk kann sich zu einem Magneten entwickeln, der den Unternehmen der Lausitz die Fachkräfte wegschnappt. Solche Sorgen machen sich dort schon breit.
Und das Großforschungszentrum könnte am Ende doch wieder in einer Stadt landen, die schon über verwandte Strukturen verfügt. Ein Wissenschaftstempel, der gut 2000 Leute beschäftigen soll, trägt den Leuchtturmcharakter ja schon in sich. So ein Koloss funktioniert nicht automatisch dort, wo man ihn haben will. Er kann nur da gedeihen, wo kluge Köpfe gern arbeiten wollen. Letztlich brauchen alle diese Kolosse an ihrem Ort eine Verdichtung von Know-How, Kapital und Arbeitsmarkt. Der Rest ist Physik: Was dort verdichtet wird, fehlt weiter draußen.
Solche Kolosse brauchen die Verdichtung von Know-How, Kapital und Arbeitsmarkt. Was dort verdichtet wird, fehlt weiter draußen.
Die neue Leuchtturmpolitik weiß um diese Probleme und spricht daher lieber von Clustern. Die Leuchttürme von heute werden möglichst auf mehrere Standorte verteilt. Das verteilt die vorhandenen Kräfte weiter im Raum. Das Großforschungszentrum wird höchstwahrscheinlich mehrere Städte in Ostsachsen mit Laboren, Seminarräumen und Werkstätten beglücken. Auch die Wirtschaft clustert gern, denn so können die Arbeitskräfte in einer Region besser an das angepasst werden, was künftig gebraucht wird. Wenn es schließlich gelingt, Homeoffice zum Standard in der Arbeitswelt zu machen, dann sitzen die Hochqualifizierten nicht mehr hauptsächlich an den Hochschulstandorten, sondern auch auf dem Dorf.
Der Strukturwandel infolge des Kohleausstiegs hat weniger Zeitdruck als die Leuchtturmdekade nach der Wiedervereinigung. Man kann behutsamer vorgehen. Man kann Unternehmen und Wissenschaft zusammenschalten und hoffen, dass die kleinen Orte mit ihrem angenehmen Lebensumfeld eine eigene Leuchtturmwirkung entfalten. Ob das klappt, hängt am Ende an der Psychologie. Nämlich an der Frage, wie weit eine Region an sich glaubt.