Nicht der ganze Osten, sondern Thüringen und Sachsen haben der AfD einen Teilsieg bei der Bundestagswahl beschert. Denn hier beantworten viele die soziale Frage eben doch anders.
Ostdeutschland bleibt eine Problemzone. Dieser Befund war bei der Bundestagswahl wieder auf dem Tisch, noch bevor die erste Prognose erschien. Doch das Bild stimmt nicht. Es ist nicht der Osten, der nahezu flächendeckend die AfD gewählt hat. Diese in Teilen offen rechtsextreme Partei ist nicht innerhalb der Gemarkung der einstigen DDR am stärksten. Die Problemzone ist kleiner. Die AfD ist eine flächendeckende Erscheinung lediglich in Sachsen und Thüringen.
Der südliche Osten hat der AfD bei einem insgesamt enttäuschenden Wahlergebnis doch noch einen Teilsieg beschert. Aus Thüringen und Sachsen ziehen etliche AfD-Kandidaten direkt in den Bundestag ein. Die beiden Freistaaten mit ihrer starken regionalen Identität und unzweifelhafter historischer Verwurzelung erweisen sich einmal mehr als fruchtbarer Boden für die neurechte Partei. Von der Werra bis an die Spree konnte die AfD mit einer noch mehr ins Nationale geschraubten Botschaft eine feste Basis aufbauen, die nun schon über die zweite Bundestagswahl trägt. Je weiter östlich, desto klarer wird das Bild. In der Lausitz liegen die Zweitstimmen-Anteile der AfD jenseits der 30 Prozent. Wie konnte das passieren?
Thüringen und Sachsen sind Länder mit starker Identität und Tradition. Hier konnte die AfD mit ihrer nationalen Botschaft eine Basis aufbauen.
Thüringen und Sachsen sind die beiden Freistaaten, in denen nach der Wiedervereinigung die CDU übernahm. In Erfurt und Dresden haben Unions-Funktionäre die Verwaltungen aufgebaut und die Politik auf selbstverständliche Weise dominiert. Kurt Biedenkopf und Bernhard Vogel, beide gefallene Kohl-Jünger von Rang, schwebten als Gestalter ein und formten kleine Königreiche nach ihrem Geschmack. Das wird gern als Ursachen herangezogen, wenn schockierende Wahlergebnisse nach Analyse verlangen: Quasi-Monarchie, Mia-san-mia-Mentalität, zelebrierter Eigensinn und bizarre Folklore. Aber die ganze Wahrheit ist das nicht.
Nicht nur die CDU hat an diesem Wahlsonntag im Osten verloren – auch die Linke. Die Ost-Partei früherer Jahre unterliegt der AfD in ausgerechnet in ihren Erbhöfen: in Thüringen, wo die Genossen regieren, und in Sachsen, dem Land mit dem einstmals mitgliederstärksten Landesverband. Man habe ja seine Ostkompetenz nicht verloren, betonte der glücklose Co-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch am Montag nach der Wahl. Aber mit dieser Kompetenz dringe man nicht mehr durch. Seine Kollegin Janine Wissler konstatierte fassungslos: “Wenn die soziale Frage im Mittelpunkt dieser Wahl stand, warum dann so ein schlechtes Wahlergebnis?“
Teile des Ostens beantworten die soziale Frage anders. Das ist die Lehre aus dieser Bundestagswahl. Im konservativ geprägten Südosten erwarten die Menschen vom Staat mehr Sicherheit und Versorgung – und sie bleiben gern unter sich. An diesem Punkt ist die Linke spätestens 2015 gescheitert, als sie sich im Sinne internationaler Solidarität für Flüchtlinge und Migranten stark machte. Da kollidierten die Genossen mit den Interessen ihrer Kernregionen und verloren Wähler scharenweise an die AfD. Denn die neue blaue Kraft verbindet die Forderung nach einem starken Staat mit nationaler Exklusivität.
Die Linke verlor nach der Flüchtlingskrise Wähler scharenweise an die AfD. Denn die verbindet den versorgenden Staat mit nationaler Exklusivität.
CDU und Linke waren die Parteien, die nach der Wiedervereinigung die soziale Frage im Osten überzeugend beantworten konnten. Die CDU vertrat die Dimension der Zuversicht und der Chancen auf einen glanzvollen Aufstieg. Die Linke bot denen Halt, die sich nicht zurecht fanden, und machte sich als oberste Kümmerer-Instanz für ein Vierteljahrhundert unverzichtbar. Doch weder die Erfolgsversprechen noch das Kümmern scheinen noch zu überzeugen.
Punkten können dagegen rechte Untergangspropheten wie Björn Höcke oder Karsten Hilse mit ihren schrägen Dystopien von der Heimat, die bis zum letzten Blutstropfen verteidigt werden müsse. Hilse hat am Sonntag sein Direktmandat im Wahlkreis Bautzen verteidigt. In Sachsen wurde die AfD zur stärksten Kraft. Die langjährige Regierungspartei CDU landete auf dem dritten Platz. Die Linke, die vor zehn Jahren noch von einem rot-rot-grünen Bündnis auf Landesebene hoffen konnte, hat ihr Wahlergebnis von 2017 halbiert.